Ich mit mir zu Gott

Ich mit mir zu Gott –
Ich auf meinem Weg

Egoismus contra Individualität

Oft ist vom Ego die Rede, das es zu überwinden gilt. Ja, das mag sein. Aber: meine Individualität ist wichtig. Ist für mich wichtig auf meinem Weg zu Gott. Egoismus contra Individualität heißt es in der Überschrift: Im 43. Kapitel des Buches Jesaja spricht Gott: “Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!” Dieser Vers, der eigentlich dem gesamten Volk Israel galt, wurde im Laufe der Jahre immer mehr ein Spruch für den einzelnen. Jesus hat die Jünger auserwählt, er sagt zu seinen Jüngern (Lukas 20,2):”Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.”
Ich bin – wie alle anderen auch – als Ebenbild Gottes geschaffen. Ich, mit meinen Fähigkeiten, Verantwortung, Licht und Schattenseiten bin auf meinem Weg zu Gott, in Gott, bei Gott. So wie ich jetzt bin, nicht für aber auch mit meiner Leistung, bin ich liebenswert.

Da ist es nicht unwichtig, was ich denke oder fühle oder wie ich handle. Es ist wichtig, dass ich mit mir umgehen kann – mich selbst erkennen – auch mit Hilfe von anderen. Selbstfürsorge – von manchen als Egoismus abgestempelt – ist grundlegend wichtig, um mein Leben leben zu können, meinen eigenen Weg gehen zu können. Denn wenn ich mich nicht um mich kümmere – wer tut es dann. Und wenn Menschen meinen, wenn ich mich aufgebe, geschähe der Wille Gottes – sorry, da stehen noch viele “andere Willen” von anderen Menschen dazwischen. “Wenn ich sterbe und vor Gottes Thron stehe”, so sagte wohl einst Rabbi Zuchya, ” wird er mich nicht fragen: warum bist Du nicht Moses gewesen, warum bist Du nicht Elia gewesen. Er wird mich fragen: “Warum bist Du nicht Du selber gewesen?” Mit diesen und folgenden Sprüchen möchte ich Sie ermutigen, Sie selber zu sein. Ihre Individualität zu leben, mögen es andere auch Egoismus nennen.

Meister Eckhart schrieb: “Keiner kann Gott erkennen, der sich nicht zuvor selbst erkenne. Niemand kann kommen in Gottes Grund, der nicht zuvor komme in seinen eigenen Grund.”

Luther schrieb: “Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles.”

Und egal, an welcher Stelle ich stehe – ob es schnell vorangeht, langsam oder manchmal auch gar nicht – ich bin in allem ein Kind Gottes.

Schale der Liebe

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal,
der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt,
während jene wartet, bis sie gefüllt ist.
Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt,
ohne eigenen Schaden weiter, denn sie weiß,
dass der verflucht ist, der seinen Teil verringert…
Wir haben heutzutage viele Kanäle (in der Kirche),
aber sehr wenige Schalen.
Diejenigen, durch die uns die himmlischen Ströme zufließen,
haben eine so große Liebe, dass sie lieber ausgiessen wollen als dass ihnen eingegossen wird,
dass sie lieber sprechen als hören,
dass sie bereit sind zu lehren; was sie nicht gelernt haben
und sich als Vorsteher über die anderen aufspielen
während sie sich nicht regieren können.
Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugiessen,
und habe nicht den Wunsch, freigebiger als Gott zu sein.
Die Schale ahmt die Quelle nach.
Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See.
Die Schale schämt sich nicht, nicht überströmender zu sein als die Quelle…
Du tue das gleiche!
Zuerst anfüllen und dann ausgiessen. Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen… Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du gut? Wenn du kannst; hilf mir aus der Fülle, wenn nicht; schone dich.
Bernhard von Clairvaux (1090 – 1153)