Abwûn d’bwaschmaâja – aramäisches VATER-MUTTER UNSER
Viele Christen und auch wir beten es seit Jahren, es ist das verbindenste und bekannteste Gebet der Christenheit. Aber was heißt es für mich – was steckt hinter unserem Vaterunser? Wir nähern uns dem Vater Unser einmal anders – vom aramäischen her, von einer anderen Übersetzung her: das aramäische Vater-Mutter Unser in der Übersetzung von Franz-Xaver Jans Scheidegger. Das aramäische Vater-MutterUnser ist eine Rückübsetzung vom griechischen Vaterunser (wie es in der Bibel überliefert ist) ins Aramäische, die Sprache, die Jesus gesprochen hat. Zur Hilfe wurde die Peschitta – die aramäisch-syrische Bibel genommen. Dann ist dieses Gebet wieder ins Englische bzw. ins Deutsche rückübersetzt wurde, indem der Sinn, die Bedeutung erfasst wurde. Es wurde quasi in die Worte “hineingespürt”.
Wieweit diese Übersetzung das ist, was Jesus wirklich gemeint hat?
Hier können Sie mehr über den Kultur und Sprachraum des aramäischen erfahren. weiterlesen
Kultur- und Sprachraum der Entstehung und Überlieferung
- Jesus selbst hat aramäisch, ähnlich dem hebräischen gesprochen. Seine Sprachbilder, sein Denken war durch diesen Sprach- und Kulturraum geprägt. Z.B. kennt diese Sprache kein lineares Denken wie es uns vertraut ist. Es gibt keine Vergangenheits- oder Zukunftsform der Verben, der Zusammenhang entscheidet, wie es zu verstehen ist. Dafür gibt es aber eine sogenannte „Intensivform“ des Verbs, etwas wird mit Intensität betrieben. Schon allein das macht deutlich, dass das Lebensgefühl ein anderes war. Das wird sichtbar auch in der Schwierigkeit, den Gottesnamen in Exodus 3 (den Mose am brennenden Dornbusch erfährt) zu übersetzen: Ich bin da; oder: Ich bin, der ich da bin; ich werde sein, der ich bin; ich werde sein, der ich war; ich bin, der ich bin da; ….
- Zudem ist die orientalische Sprache sehr lautmalerisch und körperbezogen, äußere Geschehnisse werden ganzheitlich im Leib empfunden wahrgenommen, die Sprache ist poetisch, bildreich. Sie lebt davon, uneindeutig zu sein, und vieles zu meinen, und zu ermöglichen.
- Die Sprache lebte wenig über das geschriebene Wort, sondern durch Erzähltraditionen. Worte und Geschichten sollten (am Lagerfeuer, oder im jüdischen Lehrhaus) anrühren, berühren, Sinn vermitteln, eine Atmosphäre erzeugen. Wir kennen ja bis heute den Zauber orientalischer Erzählkunst.
Dazu kommt, dass das orientalische Wahrheitsverständnis bis heute! Ein anderes ist, als das westliche der griechisch/römischen Tradition, das von Vernunft und ratio geprägt ist. Orientalisch: Wahr ist die Schilderung, die mich hineinnimmt in die Erfahrung. So sagt man: 5 Juden, 7 Meinungen, und das war mitnichten ein Problem, sondern das, um was es geht, war irgendwie „dazwischen“. In den Versuchen der Konfliktbewältigung in Ex-Jugoslawien hat da ein großes Problem in der Verständigung gelegen. Im Koran bemüht man sich um ein wort-wörtliches Verständnis – bis heute ist das schwierig.
- Die ersten Christen aus dem aramäischen Sprachraum, gaben ihre befreienden Erfahrungen, das Evangelium (griechisch, wörtl. Gute Nachricht) mündlich in der semitischen Erzähltradition weiter, darunter waren Judenchristen und Heidenchristen. Palästina war damals römisch besetzt, aber es lebten auch viele Griechen dort, für beide war Schriftkommunikation bereits Kulturgut. Die Griechen schrieben das Neue Testament, in der Form, wie wir es kennen, in ihrer Sprache auf. Dieses wurde alsbald ins Latein übersetzt, was dann Kirchensprache der römischen Christen wurde. Beide Sprachen bilden ein ganz anderes Denken ab, viel vergeistigter, mit differenzierten Zeiten und viel präziserer Formulierung. Paulus selbst war ja römischer Staatsbürger und hat griechisch geschrieben. Der Erfahrungshorizont der Botschaft Jesu musste ebenso wie seine Sprachbilder in einen anderen Kulturhintergrund transferiert werden. Die semitisch formulierte und erlebte Botschaft wurde überformt durch das griechische und römische Denken. Zusätzlich prägten frühe Übersetzungsfehler ganze Jahrhunderte.
- Als beim Konzil von Nicäa Anfang des 4. Jhd. die Texte, die ins Neue Testament aufgenommen werden sollten, ausgewählt wurden, wurden die meisten (mündlichen) Überlieferungen in koptischer, syrischer, hebräischer und aramäischer Sprache nicht berücksichtigt. Kaiser Konstantin wünschte sich eine einheitliche, für alle geltende Glaubens-Regelung, die dem westlichen und römischen Denken entsprach, die anderen wurden ausgegrenz..
In den Kirchen des Nahen Ostens sind jedoch manche der alten aramäischen Überlieferungen bewahrt.
- Die Peschitta, die aramäische Bibel, die bis ins 4. Jh zurückreicht, und sich auf mündliche und alte aramäische schriftl. Überlieferungen stützt, hat laut ihrer eigenen Aussage den ursprünglicheren Erzählstrom bewahrt.
- Sprachforscher versuchen heute, die alten Erzählbilder wieder zugänglich zu machen, und zur Mehrdeutigkeit zurückzukehren, die in den Worten selbst impliziert ist. Sie versuchen den damals aufleuchtenden Wortfeldern auf die Spur zu kommen. Diese Forschungen sind aber in der deutschsprachigen Theologie noch nicht angekommen. Inzwischen kursieren verschiedene Versuche der Übersetzung. Aus den altaramäischen Texfassungen stammt der Text, der den „aramäischen Vater-unsern“ zugrundeliegt.
- Im Aramäischen gibt es für Gott sowohl das Wort Alaha= heilige Einheit, die nichts ausschließt, sowie Abwun= zeugend-gebärende immerwährende Schöpferkraft, männlich- weiblich-jenseits allem. Hebräisch heisst es auch in der Bibel: Abba, lieber Vater. Der alttestamentliche Gottesname ist – ebenfalls auf hebräisch JHWH. Dieser durfte nach dem Exil ca. 700 bis 539 v. Chr. nicht ausgesprochen werden und wurde unterschiedlich umschrieben: Der Name, Der Ewige, der Heilige, die Ewige, der Ort, Elohim, Adonaj, etc.
Alle anderen Gottesnamen bezeichnen nur Qualitäten Gottes, z.B. Herr der Heerscharen. Jesus hat das familiäre auf Vertrautheit im Umgang schließende Abba „Papa“ verwendet.
- Das aramäische Wort für Gebet heißt „eine Falle Stellen“ und damit etwas „einfangen“, wir könnten heute sagen: die richtige Frequenz suchen, um Gott zu „hören“, „sich ausrichten“. Es geht weniger ums reden, als darum in eine Beziehung zu gehen. also weniger reden, als ein in Beziehung kommen.
Wer Allgemeines zur Struktur des Vaterunsers im Matthäusevangelium erfahren möchte, lese hier weiter: weiterlesen
Allgemeines zur Struktur des Vaterunsers im Kontext bei Matthäus
Das Vater unser bildet im Matthäusevangelium die Mitte der sogenannten Bergpredigt. Es ist eingerahmt von zwei Themen, mit denen es den Dreiklang jüdischer Frömmigkeit aufnimmt: Almosen geben = Mitgefühl haben, Beten, und Fasten = Freiheit bewahren von Abhängigkeiten. Um das Vater unserbzw. diesen Themenblock herum sind die einzelnen Sätze des Gebets ausgeführt und angeordnet:
Geheiligt werde Dein Name – Seligpreisungen Mt 5,1-12
Dein Reich komme – Salz und Licht Mt 5,13-16
Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden – Antithesen Mt. 5,17- 48
Unser tägliches Brot gib uns heute – Almosen geben – Beten – Fasten Mt 6
Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern – Vom Richten Mt 7, 1-6
Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Bösen – Warnung Mt 7, 7-23
Denn dein ist das Reich und die Kraft … – Hausbau auf dem Fels Mt 7, 24-28
Hier folgen weiteres Eintauchen / Erklärungen zu den Bitten:
VATER UNSER IM HIMMEL weiterlesen
Die Bitte: geheiligt werde Dein Name weiterlesen
Die Bitte: Dein Reich komme weiterlesen
Die Bitte: Dein Wille geschehe weiterlesen
In unserer eigenen Tiefe, in unseren Gaben und Möglichkeiten, in unserem tiefen Selbst berühren wir den Willen Gottes, weil wir seine Ebenbilder sind.
Aber wie können wir sicher sein, dass das, was wir wahrnehmen, Gottes Wille ist und nicht der Wille anderer, die ja die Schrift besser interpretieren oder meiner Angst oder Geltungssucht entspringt?
„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm/ihr“… so heißt es im 1. Johannesbrief und an vielen anderen Stellen in der Bibel. Das wichtigste Gebot ist Gott zu lieben UND den Nächsten WIE SICH SELBST.
Dem Willen Gottes entsprechen müsste in folgende Richtung führen: Gottes Liebeskraft in meiner Liebeskraft entdecken, mehr und mehr seiner Liebeskraft zu entsprechen. Gottes Liebeskraft ist der Klang meines Lebens: Wo ist mein Klang auf den Hintergrund dieses Klanges? Wo klingt das JEhOschUA in mir? (fast alle Vokale)
Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, dass wir Gottes Willen ausserhalb unserer selbst finden müssten! Denn dies bewirkt meist nur, auf den Willen von anderen hereinzufallen. Ich bin gewiss: Gott wirkt und ich werde (Luther). Gott ist lebendig in uns, wenn wir uns ihm öffnen. Nur das Heilige hat die Möglichkeit, den Menschen wirklich heil zu machen …
Ich kann nicht Gott zwingen, dass er meinen Willen erfüllt, sondern ich erfühle, erahne, erbete Seinen Willen in mir. In welcher Qualität tönt/kommt Gott mir entgegen?
Wille heißt im Aramäischen auch “Verlangen” oder “Herzenswunsch”. Wir können uns dem Willen Gottes vielleicht mit der Übung nähern: was ist das, was ich jetzt in diesem Moment wirklich tun will? Gottes Wille ist nicht abstrakt, fern von unserem Heil-Sein oder über-mächtig. Sein Wille ist meist all-täglich und bezieht sich auf seine/unsere tiefste Sehnsucht
wie im Himmel, so auf Erden weiterlesen
Ethymologisch: Himmel kommt von Hemd: bergend.
„Himmel“ ist ein „Teekesselchen“, gemeint ist nicht der blaue Himmel mit den Wolken, gemeint ist nicht das All, sondern der Himmel, das Himmelreich, das „mitten unter uns/ mitten in uns“ gegenwärtig ist. Die „unsichtbare Welt“ Gottes ist das, was hinter den Dingen oder in den Dingen und Menschen aufleuchtet, und nicht mit den üblichen Sinnen wahrgenommen werden kann.
Gott wohnt im Himmel: Gott hat einen Namen, ist uns gegenüber, d.h. kann angesprochen werden im Blick auf die Essens seines Wesens , das führt zu Liebe. Im „Kehrt um“ von Jesus ist diese Dynamik gemeint. Gott will die Urordnung herstellen, die harmonikale Struktur ( J.Keppler)
Wir bitten darum, dass Gottes Herzenswunsch in unserem Leben genauso durchgängie Form annimmt wie auf der Ebenen von Klang und Licht.
Wie bringt man die unio – mystica – Erfahrung in Einklang mit dem Alltag in Raum und Zeit?
Was ist meine Stimme, die ich klingen lassen kann und soll im Klang der Welt?
Übersetzungsmöglichkeiten sind also:
Dein eines Verlangen wirkt dann in unserem – wie in allem Licht, so in allen Formen –
Möge der brennende Wunsch Deines Herzens Himmel und Erde vereinen durch unsere Harmonie
Hilf uns zu lieben, wo unsere Ideale enden, und lass Handlungen des Mitgefühls erwachsen für alle Kreaturen.
Lass Himmel und Erde einen neue Schöpfung bilden, indem wir Deine Liebe in der unseren entdecken.
Die Bitte: unser tägliches Brot gib uns heute weiterlesen
Brot war im Vorderen Orient heilig. Es wurde für einen Tag gebacken, und es wurde nicht nur für den eigenen Bedarf gebacken, sondern auch für fremde. Brot ist nicht nur Grundnahrungsmittel sondern hieß auch “Lebens-Geber” und wurde ehrfürchtig behandelt. Das tägliche Brot ist eine Erinnerung an Gottes Gegenwart. Und es wird nicht für morgen und übermorgen gebeten, sondern für heute. “Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.” (Mt.6:33-34). Gott lebt im Alltag, in jedem Tag.
Das Wort für Brot – lachma – soll auch die Bedeutung von Einsicht haben – und aus einer Sprachwurzel auch das Wort: hochma – heilige Weisheit, oder auch Wahrheit – Lehre – Verstehen. – Mit dieser Bitte bitten wir sowohl um das irdische, leibhafte wie auch darum, Tag für Tag Einsichten zu haben, dass unsere Weisheit wachsen möge.
Wir laden Sie ein, sich diesem Gebet wieder anzunähern in dem wir uns auf die semitisch- aramäische Welt etwas einlassen. Und diese Übersetzung ist ein wunderschönes Gebet, was das Herz weit werden lässt und das traditionelle VaterUnser neu erfahren läßt.
Vater und Mutter des Kosmos, Urgrund der Liebe!
Bereite in uns den Raum des Herzens,
dass wir Dein Licht und Deinen Klang
in Frieden erfahren.
Deine Wirklichkeit offenbare sich.
Dein Verlangen: eine Himmel und Erde,
dass wir Deine Liebe in unserer entdecken.
Gib uns Tag um Tag,
was wir an Brot und Einsicht brauchen.
Löse die Fesseln unserer Fehler,
wie auch wir freigeben,
was uns an die Verstrickung und Schuld der anderen bindet.
Führe uns in der Versuchung.
Bewahre uns vor falschem Begehren,
und befreie uns von Irrtum und Bösem.
Denn Dein ist das Reich der Liebe und des Friedens,
die Fülle des Lebens und der Klang des Kosmos,
der alles erneuert von Weltzeit zu Weltzeit.
Ich bekräftige all dies mit meinem ganzen Sein.
Amen.
übersetzt von Franz-Xaver Jans-Scheidegger
Hier ein weiterer Link zum VATERMUTTERUNSER, übersetzt von Neil Douglas Klotz
Das aramäische Vatermutterunser zum Anhören:
Abwûn d’bwaschmâja – Das Vater unser auf aramäisch Übersetzung: Neil Douglas Klotz
Abwoon D’Bashmaya Ashana Neil Douglas Klotz
Und hier zum kaufen: www.lichthaus-musik.de/produkt/abwun-the-prayer-of-jesus/
Empfehlenswerte Literatur über das VATERUNSER – und über das aramäische Abwun:
- Rocco A Errico: Acht Einstimmungen auf Gott. Jesus und seine ursprüngliche Botschaft im aramäischen Vaterunser ISBN-13 : 978-3929345100 Herausgeber : Edition Synthese (1. Januar 2001)
- George Lamsa: Die Evangelien in aramäischer Sicht ISBN-13 : 978-3907119037
Herausgeber : Neuer Johannes Vlg; 6., Auflage 2017 - Neil Douglas-Klotz: Das Vaterunser, ISBN-13 : 978-3426873533 Herausgeber : Knaur MensSana TB; 9. Auflage 2007)
- Anselm Grün: Vaterunser, Herausgeber : Vier-Türme-Verlag; 1. Auflage 2018
- Luthers Kleiner Katechismus ISBN-13 : 978-3730604243 Herausgeber : Anaconda Verlag oder Internet
